Konzertkritik: Simon Kempston
Autor: Frank Jermann, veröffentlicht am 4. April 2019
Kann man KonzertbesucherInnen überfordern, wenn der Brexit zum Thema wird? Wohl nicht, wenn es sich um ein Simon-Kempston-Konzert handelt. Wer sich am 29. März in das ausverkaufte Kulturcafé Fliegende Ente in Völzberg aufgemacht hatte, erwartete sicher keine fröhliche Kost im Stile Helene Fischers. Kempston ist ein politischer und gesellschaftskritischer Singer-Songwriter, dessen Lieder sich mit unerwarteten Themen beschäftigen. Den Brexit zu thematisieren, das kann zu so einer Veranstaltung also durchaus dazu gehören.
Der Konzertabend war eine Herausforderung in mehrerer Hinsicht. Einerseits war da für den Künstler der enge Tourneeplan: Kempston spielte in zwei Ländern binnen drei Tagen vier Konzerte (Schweiz-Völzberg-Schweiz). Auf der anderen Seite musste sich das Publikum auf einen (fast) komplett englischsprachigen Abend einstellen – ein Novum in der Fliegenden Ente.
Simon Kempston präsentierte ein anspruchsvolles Gitarrenspiel, wie man es von jemand mit einer klassischen Ausbildung an dem Instrument erwarten konnte. Eingestreute instrumentale Stücke ermöglichten dem Publikum, sich auf die Fähigkeiten des Künstlers an der Gitarre zu fokussieren. Dass Kempston ohne Verstärker spielte, ließ seine Klasse noch stärker erkennen. Keine Tricks – er hat sie sehr offensichtlich nicht nötig.
Die Kombination des feinen Gitarrenspiels mit seinem Gesang machte die Besonderheit dieses Konzerts aus. Kempstons enorm kräftige und ausdrucksstarke Stimme, immer selbstbewusst, manchmal begleitet von einem mitfühlenden Stirnrunzeln, dann von einem verschmitzten Lächeln, immer aber mit wachen Augen und offensichtlicher Freude an einem Konzert in kleinem Rahmen, all das war überzeugend.
Die Stücke Simon Kempstons spannen inhaltlich einen weiten Bogen. Themen aus seiner schottischen Heimat erwartet man von ihm. Ein Stück über die sterbenden Gemeinden im Braunkohlerevier Garzweiler (Time now to go) ist allerdings ebenso überraschend wie Songs über einen Schachspieler, der seine Seele verkauft hat (Who took Ivan’s soul?), einen erfolglosen Boxer (Broken before) oder Kempstons unfreundliche Erlebnisse mit einem Schweizer Grenzbeamten.
Kempston hat etwas zu sagen – und er drückt das auf deutliche, aber auch einfühlsame Weise aus. Wenn in manchen seiner Geschichten Traurigkeit oder gar Verzweiflung dominieren, dann haben die ZuhörerInnen immer noch die Chance, sich von der jederzeit wundervollen Musik trösten zu lassen.
In diesem Spagat lag vielleicht auch das bemerkenswerte Ende des Konzerts begründet: Das Publikum war seltsam still und forderte keine Zugabe. Ein kurzer Zuruf brachte Simon Kempston dann allerdings doch noch dazu, ein Extrastück zu spielen. Mit Baker Street wurde es das einzige Cover des Abends – aber was für eines! Kempstons Interpretation verlieh dem über 40 Jahre alten Klassiker seines schottischen Landsmanns Gerry Rafferty eine ganz persönliche Note. Viele Cover-Versionen sind lieblose Abklatsche der Originale – diese hier war ein sorgsam gestalteter Song.
Man hätte die Ruhe nach dem fast schüchternen Ende des Konzerts als Ernüchterung interpretieren können, wären da nicht die Kommentare des Publikums gewesen. Das Spektrum der Äußerungen reichte von faszinierend bis begeistert. Der Abend hatte etwas Meditatives. Simon Kempston gelang es, die Fliegende Ente mit einer nachdenklich stimmenden, positiven Energie zu füllen.
Dieses Konzert war sicherlich keine einfache Kost. Dazu passte das flammende Statement des Künstlers gegen den Brexit prächtig. Es war nicht zu überhören, dass er etwas zu sagen hatte. Simon Kempston erfordert zu Recht ein aufmerksames Publikum. Das gelang an diesem besonderen Abend vorzüglich.